Erwerbsgemindert und berufsunfähig: Wer entscheidet darüber?
Viele Leistungen im Sozialstaat hängen von der Frage ab, ob Sie erwerbsgemindert sind. Zum Beispiel dann, wenn es um die klassische Erwerbsminderungsrente geht. Doch wer hat eigentlich das Sagen und kann festlegen, ob jemand erwerbsgemindert ist oder nicht?
Sie beziehen seit vielen Monaten Krankengeld und jetzt heißt es plötzlich, dass Sie in Zukunft eine EM-Rente beziehen sollen? Ob es genau so kommt, hängt davon ab, ob Sie tatsächlich erwerbsgemindert sind. Oder erhalten Sie Leistungen vom Jobcenter, sind aber seit vielen Monaten krankgeschrieben und jetzt steht möglicherweise ein Wechsel zum Amt für Grundsicherung an? Auch hier entscheidet sich alles an der Frage, ob Sie erwerbsgemindert sind. Oder eben nicht.
Erwerbsgemindert: Was genau bedeutet das?
In unserem Blog schmeißen wir nicht mit Paragraphen und Gesetzestexten um uns. Denn wir möchten mit unseren Beiträgen möglichst vielen Menschen ein Verständnis für die Zusammenhängt im Sozialrecht vermitteln.
Doch an dieser Stelle müssen wir einen - wirklich ganz kurzen - Blick in das Gesetz werfen. Der Begriff Erwerbsfähigkeit wird an gleich zwei Stellen definiert. Einmal im Sozialgesetzbuch (SGB) II, in dem es um "Hartz IV" geht. Und darüber hinaus im SGB VI, also in dem Buch zur gesetzlichen Rentenversicherung.
Erwerbsfähigkeit im SGB II
An dieser Stelle ist unser Begriff erfrischend verständlich erklärt. Denn im Paragraphen 8 des SGB II heißt es: "Erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein."
Zugegeben, der Satz ist - wie so oft in Gesetzestexten - viel zu lang. Außerdem macht uns die doppelte Verneinung das Lesen nicht gerade einfacher. Aber der Knackpunkt ist im letzten Teil zu finden - dort geht es um die drei Stunden am Tag. Wer mehr als drei Stunden täglich irgendeiner beruflichen Beschäftigung nachgehen kann, ist demnach erwerbsfähig. Im Umkehrschluss bedeutet ein "Restleistungsvermögen" von unter drei Stunden, dass Sie erwerbsgemindert sind.
Werfen wir jetzt einen Blick ins Gesetzbuch für die Rente.
Erwerbsfähigkeit im SGB VI
Auch hier begegnen uns wieder die magischen drei Stunden. Im Paragraphen 43 heißt es im zweiten Absatz: "Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein."
Soweit noch alles klar?

Drei Stunden - darum geht es
Alles dreht sich also um ein restliches Leistungsvermögen von drei Stunden. Alles, was darüber ist, kann - auf Deutsch gesagt - arbeiten. Wer unter diese Schwelle rutscht, findet sich in der Erwerbsminderung wieder.
Wichtig: Wir sprechen hier nicht über einen Zeitraum von wenigen Wochen. Der Begriff Erwerbsfähigkeit oder Erwerbsminderung ist an das Wort "dauerhaft" gekoppelt. In der Regel bedeutet das: Wir gehen davon aus, dass sich in den nächsten sechs Monaten nichts an Ihrem Gesundheitszustand ändern wird.
Welche Folgen hat Erwerbsminderung?
Die berümteste Leistung rund um den Begriff der Erwerbsfähigkeit ist wohl die Erwerbsminderungsrente. Wobei die drei Stunden zwar eine wichtige, aber noch lange nicht die einzige Rolle spielen.
Doch im Sozialrecht hängen noch viele weitere Geldzahlungen und Ansprüche an diesen magischen drei Stunden. Wie schon oben angerissen, bekommen Sie nur "Hartz IV", wenn Sie grundsätzlich in der Lage sind arbeiten gehen zu können. Ist Ihre Gesundheit so angekratzt, dass das dauerhaft - also voraussichtlich länger als sechs Monate - nicht möglich ist, sind Sie beim Jobcenter nicht richtig aufgehoben.
Auch das Krankengeld können Sie verlieren, wenn Erwerbsminderung festgestellt wird. Das ist übrigens ein wichtiger Grund dafür, warum Krankenkassen Ihren Versicherten häufig im Krankengeld anraten, eine Reha zu durchlaufen.
Erwerbsminderung: Wer hat das Sagen?
Wenn doch die Frage der Erwerbsfähigkeit so eine große Bedeutung hat und zum Teil ganze Existenzen vernichten kann: Warum ist es dann in der Praxis häufig so schwierig, eine eindeutige Antwort zu erhalten?
Das liegt zumindest teilweise an den unterschiedlichen Zahlmeistern. Während "Hartz IV" und die Grundsicherung vor allem vom Bund finanziert werden, bleiben die Kommunen bei der Hilfe zum Lebensunterhalt allein auf den Kosten sitzen. Wer offiziell erwerbsgemindert ist, hat keinen Anspruch mehr auf Kranken- oder Arbeitslosengeld. Kein Wunder, dass hier bestimmte Interessen eine Rolle spielen.
Deutsche Rentenversicherung hat den Hut auf
Eigentlich ist es ganz einfach. Am Ende entscheidet die Deutsche Rentenversicherung über die Frage des Restleistungsvermögens - und damit auch über die Frage, ob Sie erwerbsgemindert sind. Häufig geschieht dies über einen Termin beim Gutachter. Es kommt jedoch auch vor, dass nach Aktenlage entschieden wird. In diesen Fällen kommt es ganz besonders darauf an, was Ihre eigenen Ärzte - Fachärzte und der Hausarzt - in den sogenannten Befundberichten beschreiben.
In der Vergangenheit kam es häufiger vor, dass diverse Ämter eine Prognose zur Erwerbsminderung abgaben. Inzwischen hat sich in weiten Teilen der Republik durchgesetzt, dass die Deutsche Rentenversicherung am längeren Hebel sitzt. Eine wichtige Ausnahme ist aber die Phase der Aussteuerung. In diesem Szenario entscheidet zunächst die Arbeitsagentur, ob Sie länger als sechs Monate erwerbsfähig sind oder nicht. Wird dann die sogenannte Nahtlosigkeitsregelung angewendet, kommt aber abermals die Rentenversicherung ins Spiel - und prüft offiziell die Voraussetzungen für eine EM-Rente.
Fazit
Können Sie länger als drei Stunden am Tag arbeiten? In irgendeinem Job? Und - ist dieser Zustand dauerhaft? An dieser Fragestellung hängen zahlreiche weitere Entwicklungen, die über viel Geld entscheiden können. Bei der Erwerbsminderungsrente, dem Kranken- oder Arbeitslosengeld - und auch in den diversen Sparten unserer Sozialhilfe.
Grundsätzlich liegt es an der Deutschen Rentenversicherung zu prüfen, wie es um Ihr restliches Leistungsvermögen bestellt ist. Sollten Sie Zweifel am Ergebnis haben oder sich grundsätzlich überfordert mit diesem wirklich schwiergen Thema fühlen, lassen Sie sich bitte individuell beraten.
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