Interne Querelen, gebrochene Wahlversprechen und wichtige Sozialreformen, die weiterhin auf sich warten lassen: Der Start in die gemeinsame Regierungszeit war für die Koalitionsparteien von Union und SPD kein einfacher. Nach 100 Tagen spiegeln sich die Startschwierigkeiten unter extremen außen- und innenpolitischen Herausforderungen auch in den Umfragen wider. Das Vertrauen in die Politik hat bei vielen Menschen noch stärker gelitten.
Auch der SoVD betrachtet die bisherige Arbeit der Bundesregierung unter großen Vorbehalten. Vor allem in wesentlichen sozialpolitischen Bereichen gibt es aus Sicht des Verbandes noch großen Handlungsbedarf. Er macht jedoch ebenso Schritte aus, die in die richtige Richtung weisen. So begrüßt die SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier zunächst die geplante Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent – zumindest bis 2031.
Auch die Angleichung der Kindererziehungszeiten durch die Ausweitung der Mütterrente ist ein sozialpolitischer Erfolg.
Rentenniveau perspektivischauf 53 Prozent anheben
Nach Einschätzung des SoVD sind die 48 Prozent allerdings nicht ausreichend, um Altersarmut nachhaltig entgegenzuwirken oder diese gar zu verhindern. Damit niemand mehr dem Risiko ausgesetzt ist, nach einem langen Arbeitsleben auf die Grundsicherung im Alter angewiesen zu sein, ist nach Überzeugung des Verbandes perspektivisch eine Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent notwendig.
Mit Sorge betrachtet der SoVD zudem die immer wiederkehrenden Debatten um die Erhöhung der Regelaltersgrenze. Viel wichtiger sei es, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass alle erwerbstätigen Menschen die Chance erhalten, in ihren Berufen bis zum Renteneintritt überhaupt gesund zu bleiben, betont die SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier.
Als positiv bewertet sie hingegen in diesem Zusammenhang den Vorstoß von Bundesarbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas (SPD), auch die Beamt*innen in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen.
Ergebnis zum Mindestlohn ist enttäuschend
Insgesamt bleibt das Thema Altersarmut aus SoVD-Sicht ein blinder Fleck auf der Agenda der Bundesregierung. Neben der Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent fordert der SoVD als wirksame Gegenmaßnahmen Verbesserungen bei der Grundrente sowie einen echten Freibetrag in der Grundsicherung und bei Erwerbsminderung.
In Sachen Arbeitsmarkt hat aus Sicht des SoVD die angestoßene Diskussion zum Mindestlohn der Sache zwar gutgetan; das Ergebnis bleibt jedoch nach erster Bilanz enttäuschend.
Debatte zu Sozialausgaben zulasten der Ärmsten
Ein zentrales Thema im Wahlkampf war das Bürgergeld. Die Regierung beabsichtigt, diesbezüglich Änderungen vorzunehmen. Geplant ist unter anderem eine „neue Grundsicherung“ für Arbeitsuchende, verbunden mit erheblichen Leistungsverschlechterungen.
Im Bundeshaushalt 2025 sind bereits Einsparungen bei Hilfen für die Eingliederung in Arbeit vorgesehen. Insgesamt 50 Millionen Euro sollen den Jobcentern gekürzt werden. Diese werden wiederum später zur Unterstützung Betroffener beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt fehlen. „Wer vor explodierenden Sozialausgaben warnt und Bürgergeldempfänger*innen in den Fokus rückt, schürt eine Scheindebatte. Statt die Ärmsten gegeneinander auszuspielen, braucht es eine gerechte Steuerreform, bei der starke Schultern mehr Verantwortung übernehmen“, mahnt Michaela Engelmeier.
Hohe Einkommen und Vermögen gerecht besteuern
Die Bundesregierung habe umfangreiche Steuererleichterungen für Unternehmen auf den Weg gebracht – darunter die Absenkung der Körperschaftssteuer ab 2028 und die Begünstigung von bis zu 100.000 Euro teuren Luxus-Dienstwagen. „Derartige Maßnahmen kosten rund zehn Milliarden Euro jährlich und erschweren damit eine solide, sozial ausgewogene Haushaltsführung von Bund, Ländern und Kommunen!“, stellt Engelmeier fest.
Wer den Sozialstaat zukunftsfest machen wolle, müsse jedoch hohe Einkommen und Vermögen endlich gerecht besteuern, so Engelmeier weiter. „Kürzungen bei denen, die ohnehin kaum über die Runden kommen, sind keine Lösung. Die Bundesregierung darf nicht nur Wirtschaft und Verteidigung im Blick haben, sie muss auch an die Menschen denken.“
Versprechen zu brechen,zerstört Vertrauen in Politik
Auch die Entscheidung, die Stromsteuer allein für die Industrie zu senken, sei ein fatales Signal der Bundesregierung an die Bürger*innen.
„Damit wird das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag bereits nach wenigen Wochen gebrochen. Gerade Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen hätten hier dringend Entlastung gebraucht. Solche Beschlüsse zerstören das Vertrauen der Menschen in Politik und Demokratie“, so die SoVD-Vorstandsvorsitzende.
Rückschritte drohen in der Behindertenpolitik
In den 100 Tagen unter Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ist auch die Politik für Menschen mit Behinderungen eine große Leerstelle geblieben. Zwar wurde eine Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) im Sofortprogramm verabredet, umgesetzt ist jedoch noch nichts.
Alarmierend ist für den SoVD insbesondere, dass Merz aktuell Einsparungen bei der Eingliederungshilfe prüfen lässt, obwohl diese essenziell für die Teilhabe an Bildung, Arbeit und Gesundheit ist. Einschnitte würden eine Torpedierung der UN-Behindertenrechtskonvention bedeuten.
Gemeinsam mit dem VdK hat der SoVD deshalb einen offenen Brief an die Bundesregierung zur Reform des BGG verfasst, mit dem sich die Verbände zunächst gemeinsam an die Bundesregierung und anschließend an die Öffentlichkeit gewendet haben.
Gute Ansätze in derGleichstellungspolitik
In der Gleichstellungs- und Familienpolitik gibt es gute Ansätze, aber auch Lücken. So ist – obwohl die Präambel des Koalitionsvertrages die tatsächliche Gleichstellung von Frauen zu einem zentralen Anliegen erklärt hat – frauenpolitisch bisher noch kein Gesetzesvorhaben in die Wege geleitet.
Als positiv bewertet der SoVD hingegen bei der Kinderbetreuung die Fristverlängerung im Investitionsprogramm Ganztagsausbau. Die Verlängerung soll den Ländern und Kommunen die Möglichkeit geben, begonnene Maßnahmen zu realisieren.
Was davon noch unberührt bleibt, ist das Problem des hohen Fachkräftemangels und der Lieferengpässe für Bauvorhaben rund um die Schulen.
Pflegefinanzierung gehört zu größten Herausforderungen
Auch weiterhin stellt die Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre dar. Der Notstand besteht nicht erst seit gestern. Kommissionen sollen hierzu Reformvorschläge erarbeiten. Um kurzfristig deutliche Beitragserhöhungen abzuwenden, hat die Bundesregierung Darlehen für die Kassen beschlossen. Der SoVD wünscht sich im Sinne Betroffener dauerhafte Entlastungen und Zuschüsse. Ganz oben auf die Agenda gehören aus Sicht des Verbandes vor allem Maßnahmen zur Begrenzung der Eigenanteile in der Pflege.
SoVD begrüßt Förderungen im sozialen Wohnungsbau
Dass das Budget zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus im Bundeshaushalt 2025 auf 3,5 Milliarden steigt, begrüßt der SoVD als guten und notwendigen Schritt. Doch angesichts gestiegener Bau- und Finanzierungskosten und des wachsenden Wohnraummangels reicht diese Maßnahme in den Augen des SoVD nicht aus.
„Um den Bestand an Sozialwohnungen wieder zu stabilisieren, müssten rund 100.000 Sozialwohnungen gebaut werden“, stellt Michaela Engelmeier fest. Der SoVD vermisst in dem kürzlich von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) vorgestellten Haushaltsentwurf überdies die im Koalitionsvertrag vereinbarten Investitionszuschüsse für die Schaffung wohngemeinnützigen Wohnraums.
SoVD-Vorstandsvorsitzende fordert Sozialgipfel
Wohl wissend, dass unter herausfordernden Rahmenbedingungen in zehn Wochen nicht alle Probleme gleichzeitig und ad hoc zu lösen sind, attestiert der SoVD der Bundesregierung nach den ersten 100 Tagen im Amt vor allem „fehlenden Mut für echte soziale Gerechtigkeit“ – trotz einiger guter Schritte in die richtige Richtung.
„Gerade bei Pflege, Gesundheit, Rente und der Armutsbekämpfung braucht Deutschland nachhaltige Reformen“, ist die SoVD-Vorstandsvorsitzende überzeugt. „Um gegen die Spaltung im Land und das Erstarken rechtsextremer Kräfte vorzugehen, bedarf es gemeinsamer Kraftanstrengungen. Ich fordere deshalb Bundeskanzler Friedrich Merz zu einem Sozialgipfel im Kanzleramt auf, bei dem Verbände von Anfang an beteiligt werden, um tragfähige Lösungen für die Belange, Sorgen und Nöte der Menschen in unserem Land zu entwickeln! Der Bundesfinanzminister hat sich klar zum Sozialstaat bekannt, das ist ein wichtiges Signal. Hier werden wir die Bundesregierung beim Wort nehmen.“